Nicht nur wir haben uns mit gewissen Vorurteilen im Gepäck auf die dreiwöchige Reise nach China begeben, auch die Chinesen haben uns zwar herzlich aber mit einem gewissen Zögern empfangen, treu dem Feng-Shui-Motto „Alles Böse kommt von Westen“. Dass vier unserer sechs Projektteilnehmer Frauen in ihren Zwanzigern und damit nicht wesentlich älter als die zu unterrichtenden Studenten waren, stellte augenscheinlich eine leichte Bedrohung dar. Unseren männlichen Unterstützern, Christian, der sehr gute chinesisch Sprachkenntnisse anzuwenden wusste (ohne ihn hätten wir nie erfahren wie erschwinglich all der wunderschöne Schmuck und Nagellack in den außergewöhnlichsten Farben doch waren) und unserem äußerst verständnisvollen und geduldigen Professor (ohne ihn wäre dieses einmalige Projekt nie ins Leben gerufen worden), wurde immer die Hand angeboten. Außerdem schien unser Englisch manchmal fast zu flüssig zu sein. Es besteht sicher kein Zweifel daran, dass sich Deutsch und Englisch näher sind als Chinesisch und Englisch, aber warum sahen gerade die Dozenten und Professoren der Universität die Notwendigkeit dies klarzustellen und immer wieder anzusprechen? Auch wir sind keine Muttersprachler und machen Fehler. Doch immer wieder wurde erklärt, dass das Erlernen von Englisch für uns sehr viel leichter sei als für Chinesische Englischstudenten.
Caution HOT :) |
Fehlendes Hintergrundwissen, Unverständnis für das jeweils andere System und teilweise unüberbrückbare Kulturunterschiede erschwerten die Kommunikation erheblich. So wurde uns beispielsweise nach einem persönlichen Vortrag über unser Auslandssemester, im Rahmen einer öffentlichen Präsentation mit anschließender Diskussionsrunde, die Frage gestellt, was man denn in dieser Zeit lerne, wenn man so viel reist, isst, und vom Land sieht. Leicht angegriffen, wiederholte ich das bereits Gesagte, was auch die nach dem Auslandssemester anstehende Bachelorarbeit und die während dieser Zeit stattfindenden Themenfindung und Recherche einschloss, und war überzeugt, dieses Missverständnis geklärt zu haben. Bis einer der Zuhörer abschließend schlussfolgerte: „Also haben Sie ihre Abschlussarbeit über italienisches Essen geschrieben“. Völlig perplex fragten wir uns, ob dies ein interkulturelles Problem sei oder ob es an der Sprachbarriere scheiterte.
power nap! |
Aber auch innerhalb der Universität gewannen wir einige erstaunliche, doch überwiegend positive, Erkenntnisse. Einige der Studenten „betreuten“ uns fast täglich und versuchten uns die chinesische Kultur so gut wie möglich nahe zu bringen. Zum Beispiel wurden wir während des Mondfestivals zum Herstellen von Chinese dumplings (mit Hackfleisch gefüllte Teigtaschen) eingeladen und konnten so unsere für chinesische Verhältnisse bescheidenen Kochkünste unter Beweis stellen. In den zahlreichen Gesprächen mit Studenten der Honghe Universität konnten wir immer wieder feststellen, dass vor allem chinesische Studentinnen sehr viel Wert auf romance in ihren Beziehungen zum männlichen Geschlecht legten. Jede Chinesin möchte gerne Rose sein und von Jack von der sinkenden Titanic gerettet werden. Offensichtlich vermitteln Hollywood-Filme das Bild, dass foreigners (vorwiegend der westliche Kulturkreis) romantischer seien als Einheimische, da mehrere Chinesinnen potentielle Heiratskandidaten in Übersee suchten. Vielleicht kommt doch nicht alles Böse von Westen?
Wieder zu Hause, vollkommen tolerant und weltoffen, muss einem Eines klar sein: oft versteckt sich hinter vermeintlich ignoranten Fragen echtes Interesse und die Angst, als unwissend vor dem Weitgereisten da zu stehen. Oft entwickelt man auch selbst Vorurteile gegenüber all den „Unwissenden“ und wittert auch hinter harmlosen Fragen Kritik und Spott. Von Studenten der Sprach- und Kulturwissenschaften erwartet man von Haus aus mehr Toleranz, und sie von sich selbst am meisten. Auch das Durchforsten von Kommentaren nach Verstößen gegen die politische Korrektheit kann zu Beklemmung führen. Vorurteile haben durchaus ihren Sinn, man kann über sie seine „Gruppe“ nach außen hin abgrenzen und definieren, kann sich sicher fühlen in einer chaotischen, zunehmend globalisierten Welt, in der Grenzen verschwimmen und früher stabile Konzepte, wie Nationalität und Zugehörigkeit zu einer bestimmten Kultur, an Bedeutung verlieren. Man fühlt sich bedroht von fernen Kulturen, die auf einmal überhaupt nicht mehr so fern sind, und trotzdem kaum greifbar. Alles ist möglich, zumindest theoretisch, und der Überfluss an Möglichkeiten überfordert viele. Vielleicht können wir uns hier ein Beispiel an den Chinesen nehmen: lächeln und hinnehmen, und eventuell ein paar Fotos machen.
Hong Kong |