Montag, 22. April 2013

Yunnan, China Erfahrung Teil 1/2

Über die Überwindung von Vorurteilen und Vorurteile von Vorurteilsfreien


„China?!  Nein, dort würd‘ ich nie im Leben hinfahren, die sind mir ja so unsympathisch – ich hab da letztens einen Bericht gesehen…“. Wird man so begrüßt nach seiner dreiwöchigen, horizonterweiternden Auslandserfahrung, von der man weltoffen und – ab sofort – vollkommen tolerant, schmerzfrei (besonders was Hygiene und Sauberkeit chinesischer Toiletten angeht), frei von jeglichen Vorurteilen gegenüber fremden Kulturen, zurückgekehrt ist, möchte man am liebsten die Augen ganz weit nach oben verdrehen und dem armen Fragenden seine Vorstellungen aus dem Kopf schütteln. Eine freundliche Beteuerung hier, (nein, man habe keinem Affen bei lebendigem Leibe das Hirn aus dem Kopf gelöffelt), eine Versicherung da (Hund? Nein, wurde einem nicht anstelle von Rindfleisch unter den Reis geschmuggelt) und man fragt sich woher um Himmels Willen diese Leute ihre Bildung haben. Ist man dann zum wiederholten Mal qualifizierten Kommentaren wie „Du bist ja gar nicht Gelb geworden, bei den Schlitzern“ oder „Na, und, noch keine Schlitzaugen gekriegt oder was?“ ausgesetzt, gefriert langsam das milde Lächeln auf den Lippen und man bekommt gerade noch  ein nicht mehr ganz so freundliches „Nein, wie du siehst“ heraus.
Wenn man nach zwei Wochen an einer Provinz-Universität, mitten im Land der Mitte, und anschließenden fünf Tagen in Hongkong zurückkehrt ins schöne Chemnitz, ist man noch ganz benommen von der überwältigenden Schönheit der Landschaft Yunnans, der ärmsten Provinz Chinas, von der hier die Meisten noch nie gehört haben und die doch größer ist als Deutschland. Man hat viel vermeintliches Elend gesehen, und darin Menschen, die gezeichnet waren von den Spuren eines harten Lebens, und doch augenscheinlich zufrieden. Doch trotz all der neugewonnenen Lebenserfahrung sollte man daran zurückdenken, mit welchen Erwartungen und Ängsten man selbst in die weite, unbekannte Welt aufgebrochen ist: Mit zwei Kilo Keksen und eingeschweißtem Brot im Gepäck, um ebendiese zwei Wochen in der letzten Ecke Chinas zu überstehen, innerlich eingestellt auf die absurdesten Variationen von Hühnerfüßen, Schweineköpfen und anderen Tierextremitäten jeglicher Art. Man sagt sich „Wenn wir erst in Hongkong sind, können wir wieder vernünftig essen“. Rückblickend kann man nur milde lächelnd den Kopf schütteln und die Augen verdrehen, und zwar über sich selbst. Während unserer Zeit in China haben wir zweimal schlecht gegessen, und zwar in Hongkong. Hat man die Wahl zwischen Vietnamesischer, Thailändischer und Westlicher Küche jeglicher Art, sowie weltweit beliebten Fastfood-Ketten, kann man auch nach intensivem Kopfzerbrechen schnell mal danebengreifen. Jederzeit würden wir Sauerbraten und Schnitzel eintauschen gegen Lotus, Ingwer und all die anderen Köstlichkeiten Yunnans, deren Namen wir nie erfahren haben.


Ricenoodles over the bridge
Natürlich haben sich auch einige unserer Befürchtungen bewahrheitet. Gerade in den Dörfern der abgeschiedenen Bergregionen, wo sich hinter jeder Serpentine, um die man sich schlängelt, neue Täler mit  Reisterrassen ausbreiten, kann einem vor allem das Riechen vergehen. Wasserbüffel, Schweine, Hühner und Ziegen im Erdgeschoss, karg eingerichtete Wohnzimmer im ersten Stock – man fühlt sich fast um ein paar hundert Jahre zurückversetzt, wären da nicht die Satellitenschüsseln auf fast allen Dächern. Doch wieder sollte die eigene Weltanschauung nicht den Blick trüben: Auch wenn in Europa Hygiene exzessiv verehrt wird, muss man akzeptieren, dass der hartarbeitende Bauer in Yunnan sein schwerverdientes Geld lieber in einen schicken Flachbildfernseher als in ein hübsches Wasserklosett investiert. Auch wenn die Chinesen Weltmeister im Kopieren sind, gibt es Dinge, die es lohnt von den ihnen abzuschauen: die Wertschätzung der Familie und des Alters, die Motivation und der Fleiß sich selbst Wissen anzueignen, sowie die Rolle und Wichtigkeit des Essens in der chinesischen Gesellschaft. Während in Deutschland das Essen eher Nebensache ist, so wird in China bei der Begrüßung statt „Wir geht es dir?“, gefragt: „Hast du schon gegessen?“.  Generell braucht man sicherlich ein paar Tage, um sich mit den Gepflogenheiten des neuen Landes auseinanderzusetzen. Mit Offenheit und ein klein wenig Mut gibt es unzählige neue Dinge zu entdecken: Eine kleine Eidechse in der Dusche, den abendlichen Blick auf beeindruckende Granatapfelplantagen, scharf gefüllte Hefeknödel zum Frühstück, leckere Kürbisplätzchen zum Mittag und außergewöhnliche Gemüse- und Fleischgerichte in verschiedensten Variationen zum Abendbrot. Glücklicherweise wird man letztendlich an Tag 5 feststellen, dass ein chinesisches maybe oder perhaps „Nein“ heißt, oder dass die Frage „Seid ihr müde?“ die charmante Umschreibung für „Geht jetzt bitte nach Hause!“ ist.

Reisfelder in Yunnan

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